Es interessiert
nicht, was Menschen von
Transsexuellen halten, wenn man spürt, dass man den Weg gehen muss, ist
man dazu auch in der Lage. Ich bin den Weg des
Identitätswechsels gegangen, wurde von Harald zu Harumi Michelle. Mein
männlicher Körper ist dem einer Frau angeglichen. 2 ½ Jahre hat es vom ersten
Besuch beim Facharzt für Psychiatrie, erforderlich für die Begleitung der Transformation, bis
zur letzten von insgesamt bei mir 6 Operationen (genitale Angleichung,
Verweiblichung des Gesichtes, Brustaufbau, Korrekturen an Bauch und Taille)
gedauert.
Jeder transidente Mensch geht seinen eigenen, ganz persönlichen Weg, wobei es
auch Gemeinsamkeiten gibt. Der Startpunkt ist bei allen gleich, die
vorgeburtliche Prägung und das Ziel
bei den meisten Betroffenen die volle geschlechtliche Angleichung.
Ich lebe heute akzeptiert
im privaten und gesellschaftlichen Leben. Nach anfänglichen
Problemen, war das auch im zurückliegenden
beruflichen Leben so.
Jahrelange Träume wurden Realität. Was ich anfangs für unmöglich
gehalten hatte wurde wahr. Ich habe nichts bereut.
Meine
bisherige
Lebensgeschichte musste neu gewertet werden, viele Eigenarten, Empfindungen,
Erlebnisse u.a. waren aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und bekamen dadurch eine
andere Wertigkeit.
Vielleicht
wäre ich schon früher den Weg der Transformation gegangen, einiges wäre mir
vielleicht sogar erspart geblieben, anderes wäre komplizierter geworden, Gesetze
und die Medizintechnik waren noch nicht so weit.
Fast 50 Jahre meines bisherigen Lebens hatte ich versucht, mich als Harald mit
der mir zugewiesenen Geschlechtsrolle zu arrangieren, habe aber auch nach meinem
wahren Selbst gesucht. Ich wusste immer, ich bin anders und suchte nach einem Lebenskonzept, bei
dem ich spüren konnte, glücklich zu sein. Erfolg macht aber nur ein kurzes Stück
glücklich, bis dann wieder die Gefühle offenbaren, es fehlt etwas Entscheidendes
im Leben.
Mein Leben in der
Rolle des Mannes bleibt trotzdem ein Bestandteil meines Lebens, denn als Harald
hatte ich ja auch schöne Zeiten erlebt und meine Persönlichkeit hat sich trotz
der zwei Identitäten nicht geändert. Ich blicke heute stolz auf meine
Lebenserfahrung zurück. Sie hat mich stark gemacht, sie befähigt
mich, aufrecht und selbstbewusst zu meiner wahren Identität zu stehen.
Fast 50 Jahre war
ich Harald
Meine
Kindheit verbrachte ich in einem nach meinem Dafürhalten glücklichen
Elternhaus. Von den Problemen meiner Eltern mit der privaten Tischlerei und der
verordneten Zwangskollektivierung durch die politische Führung habe ich nichts
mitbekommen. Letztendlich hat mein Vater dem Druck nachgegeben und ist in eine
PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) eingetreten.
Aufnahme Dezember 1957 |
Geboren wurde ich an einem Sonntag im März 1957.
So weit ich mich noch erinnern kann, wurde ich wohlbehütet erzogen und hatte
eine glückliche Kindheit. Wir wohnten damals in der Brandenburger
Bahnhofsvorstadt in einem Hinterhaus.
Das Grundstück wurde um 1900 bebaut und die baulichen Gegebenheiten entsprachen
nahezu dem Ursprungszustand. Die Wohnqualität bot keinerlei Komfort.
Trotzdem gab es bei uns auch etwas Luxus.
Meine Eltern hatten schon in den 1950er Jahren einen
Fernseher und wir hatten durch die Werkstatt meines Vaters ein Telefon, damals fast wie
Goldstaub.
Aufnahme
April 1959 |
Im Vorderhaus wohnte mein gleichaltriger Freund Bernd,
mit dem ich auf dem geräumigen Hof mit einer alten Bäckerei und der Tischlerei
viele interessante Spielmöglichkeiten fand. Und dann war da ja auch noch der
riesige allerdings verwilderte Garten meiner Tante, der das gesamte Anwesen gehörte. Auf der Straße
durfte ich nicht spielen, meine Mutter hatte mir das verboten. Es gab aber auch
keinen Anlass auf der Straße zu spielen, da waren kaum Möglichkeiten und der Hof
bot genügend Abwechslung. Wir wussten uns damals immer irgendwie zu beschäftigen.
Ein älterer Herr, Willy H., wohnte mit seiner Frau Friedel im Vorderhaus. Sie
waren wie Onkel und Tante für mich. Er arbeitete bis zur Rente im
Bahnbetriebswerk auf dem nahen Hauptbahnhof. Dorthin hatte er mich oft
mitgenommen, wenn er seine alten Kollegen auf dem Bahnhof besuchte. Das war
immer ein Erlebnis und hat vielleicht bei mir auch die Liebe zur Eisenbahn
geweckt.
Im Alter von 5 Jahren bekam ich dann zu Weihnachten
eine Modelleisenbahn, die in meinem weiteren Leben für mein Hobby prägend
sein sollte. Mein Arrangement dafür und für den Verein, in dem ich ab dem 14.
Lebensjahr Mitglied war, füllte meine Freizeit umfassend aus. Die Eisenbahn
sollte später auch mein berufliches Leben bestimmen.
Geschwister hatte ich keine und so beschränkte sich der Kreis meiner
Bezugspersonen neben meinen Eltern hauptsächlich auf die Bewohner des Hauses und
die Verwandtschaft. Zu anderen Kindern gab es bis zur Einschulung 1963 relativ wenig Kontakt.
Mein Kindergartenbesuch fällt nicht
sonderlich ins Gewicht. Ich
fühlte mich da nicht gerade wohl und war auch die meiste Zeit krank, weshalb
mich meine Eltern dort bald wieder abmeldeten.
Die damaligen Verhältnisse waren
einfach und mit heute nicht vergleichbar. Aber auch in der DDR entwickelte sich
das Leben weiter. Ende 1964 zogen wir von der Brandenburger Bahnhofsvorstadt ins Neubaugebiet
Brandenburg Nord. Durch den Umzug nach
Brandenburg Nord änderte sich vieles grundlegend. Hier gab es das relativ enge
Umfeld nicht mehr. Brandenburg Nord war ein sehr junger Stadtteil mit
vielen jungen Familien. Recht großzügig mit viel Freiflächen zwischen den
Wohnblöcken angelegt, bevölkerten viele Kinder die Gegend. So hatte auch ich
schon bald Freundschaften geschlossen, bzw. man kannte
sich sehr gut. Es
waren Freundschaften, wie Freundschaften unter Kindern so sind.
In der Schule war ich dagegen eher meist ein Außenseiter
unter den Jungs. Ich fühlte mich mehr zu den Mädchen hingezogen. Wir haben uns da über alles Mögliche
unterhalten. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich auch akzeptierter. Die
Interessen der gleichaltrigen Jungs hatten mich nicht sonderlich begeistert,
schon gar nicht das Fußballspielen.
Insgesamt war ich eher ein stiller und ruhiger Typ. Das führte dann auch dazu, dass meine
Klassenlehrerin meinen Eltern empfahl, mich beispielsweise in einem Verein
anzumelden, damit ich in meiner Freizeit auch was "Vernünftiges" mache.
Mit Erreichen
der etwa 5./6. Klasse hatte ich wie die meisten anderen Gleichaltrigen eine
feste und vor allem liebe Freundin. Wohl auch nichts besonderes, denn viele hatten
da schon eine engere Freundschaft.
Innere Gefühle und Träume in Richtung Trans*
waren zu dieser Zeit noch nicht gefestigt und ich behielt sie für mich. Keiner sollte merken, dass mit mir eventuell
etwas nicht stimmen könnte und ich vielleicht krank sei. Sogar meinen Eltern
habe ich mich nicht offenbart.
Vor einiger Zeit
hatte ich ein längeres Gespräch mit einer Tante von mir. Sie kennt mich etwa
seit Beginn meiner Schulzeit. Wir haben über lange vergangene Zeiten gesprochen
und mir ist dabei wieder viel von damals eingefallen. Sie erzählte mir, dass ihr
unter dem Gesichtspunkt meiner Transsexualität so einige
Verhaltensweisen nun recht verständlich erscheinen. Auch meine Oma hatte
so etwa mit Beginn meiner Pubertät damals festgestellt, dass ich ähnlich wie ein
Mädchen im gleichen Alter zickig wäre. Auch beim
Spielen hätte ich möglichst darauf geachtet, mich nicht übermäßig schmutzig zu
machen wie die Jungen. Das war übrigens die ganzen Jahre so.
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Schule mit der 10. Klasse begann ich eine
Lehre bei der Deutschen Reichsbahn in Halle/Saale. Ursprünglich wollte ich
Geologe werden. Am damaligen Geologischen Institut in der Invalidenstraße in
Ostberlin hätte ich eine Lehrstelle bekommen können, aber das scheiterte an der
fehlenden Unterbringungsmöglichkeit in einem Wohnheim. In Halle/Saale hatte die
Reichsbahn gleich neben der Berufsschule ein eigenes Wohnheim, wo ich mit den
anderen Lehrlingen untergebracht war. Hier waren die
männlichen Jugendlichen fast unter sich, begründet in der hauptsächlich
männlichen Berufsausrichtung. Nach Abschluss der 3-jährigen Berufsausbildung
hatte ich meinen Facharbeiter und das Abitur in der Tasche. In der DDR gab es
die Möglichkeit der Berufsausbildung mit Abitur. Ich bin dann nach Guben, damals
Wilhelm-Pieck-Stadt Guben, in
einen Betrieb ebenfalls der Deutschen Reichsbahn gewechselt. Diesen
Betrieb kannte ich bereits durch die
Lehrausbildung im 3. Lehrjahr. Hier blieb ich bis zum Einzug im gleichen Jahr zum Wehrdienst
bzw. Wehrersatzdienst bei der Bereitschaftspolizei in Basdorf bei Berlin.
während der Lehre 1974, 17 Jahre
In
der Lehre, aber hauptsächlich während des Wehrdienstes zweifelte ich schon öfter
an meinem Körper, er war nicht so typisch männlich kräftig ausgebildet wie
bei den anderen. Er war etwas zierlicher, ich wog bei meinen damals 184 cm Größe
gerade mal 65 kg, was dann speziell in der Wehrdienstzeit schon öfter zu
Hänseleien führte. Meist hatte ich, auch bei der größten Hitze, immer ein Hemd
an, um meinen Körper möglichst nicht direkt zu zeigen.
An die Wehrdienstzeit selbst habe ich keine so guten Erinnerungen. Es war eine
Zeit, die nicht mein Ding war, aber man sollte sie doch mitgemacht haben. Das Erlebte
formt den Menschen und ist sehr hilfreich bei der Behauptung im späteren Leben.
Während der Wehrdienstzeit verstarb meine Mutter nach längerer Krankheit.
Nach dem Wehrersatzdienst bin ich wieder in
meinen Betrieb bei der Bahn nach Guben zurück gegangen, kam dort auch wieder zum
gleichen Maschinenkomplex wie vorher, nur in der Gegenschicht. Gearbeitet wurde,
wie hier damals üblich, im wöchentlichen Wechsel auf Montage. Hier hatte ich
schnell für alle 3 Maschinen die Bedienungsberechtigung und bald auch den
Triebfahrzeugführer für Gleisbaumaschinen.
Vom Oberbauwerk Guben wurde ich Ende der 1970er Jahre zum Studium an die Verkehrshochschule in Dresden
delegiert. Die
Studienzeit war eine schöne Zeit für mich, in Dresden hatte ich mich
sehr wohl gefühlt.
Nach meiner Dresdener Zeit arbeitete ich ein Jahr zu Hause in Brandenburg bei einer
Bahndienststelle auf dem Bahnhof. Dieses Jahr war eigentlich ein Lodderjahr, teilweise recht niveaulos.
Danach kam mein Leben wieder in geregeltere
Bahnen. Ich hatte mich wieder in meinem alten Betrieb in Guben beworben
und bin dann auch dahin zurück gegangen.
Mein Vater hatte nach dem frühen Tot meiner Mutter wieder geheiratet und wie mir seine zweite
Frau später erzählte,
hat er sich öfter Gedanken über mich und mein Verhalten gemacht. Nur konnte er
wohl die Wahrheit
nicht deuten und hatte darüber gegrübelt, das machte ihn nachdenklich. Wenn ich ihm
auf seine Fragen sagte, dass ich mich mit Modellbahn oder Eisenbahn
oder so befasst
habe, dann war es für ihn in Ordnung.
Einmal ist mir zu Hause im Bücherregal ein Buch aufgefallen. Es handelte
von sexueller Aufklärung. Da war plötzlich ein Lesezeichen
drin bei dem Abschnitt "Was ist pervers?"
Schnabels Buch, in der DDR Kultlektüre, zur
sexuellen Aufklärung "Mann und Frau intim" bezeichnete solche Menschen wie mich
nach dem damaligen Stand der allgemeinen Psychologie des
Menschen immer noch als krank.
Nach damaliger Lesart stimmte etwas nicht und das musste ich keinem auf die Nase binden.
Ich versuchte möglichst so männlich zu sein, wie alle anderen Männer auch. Heute
weiß ich, warum mich das auch oft vor seelische Probleme stellte.
Um
1983/1984 kam mir eine Frau näher, die ich eigentlich schon lange kannte, es war
die Ehefrau meines damals besten Freundes. Der Funke sprang über, ich hatte
Schmetterlinge im Bauch.
Nicht mal
ein Jahr dauerte die Liebe zwischen uns. Sexuell ist bis auf Schmusen nichts gelaufen.
Sie meinte dazu, ich sein noch sehr unerfahren: "Du bist ja noch
so 'unschuldig'!"
Während dieser Zeit habe ich sehr viel gelesen, hauptsächlich Erzählungen aus
dem Leben und von der Suche nach persönlichem Glück. Gefunden hatte ich es
nicht, ich hatte mich ja noch nicht mal selbst gefunden.
Wir haben uns dann
einvernehmlich getrennt und die Freundschaft mit ihrem Mann war auch dahin.
Einige Monate später hatte eine Tante von mir in "Zusammenarbeit" mit einer
Gartennachbarin unabhängig vom Vorgeschehen für mich ein Treffen arrangiert, bei
dem ich meine heutige Ehefrau/Ehepartnerin kennenlernen sollte. Ich weiß nicht,
ob dies Schicksal oder Bestimmung war. Jedenfalls sind wir
bereits nach wenigen Treffen zusammengezogen, auch weil ich mich in der
elterlichen Wohnung eher "im Wege" fühlte.
Wir beide, um die 30 Jahre alt, hatten so jeder
seine eigene Meinung vom Leben. Da flogen schon mal die Fetzen. Nach fast genau
einem Jahr, im Jahr 1986, haben wir dann doch geheiratet und sind sogar heute noch ein Paar.
Das ständige Auf und Ab in unserer Ehe hat uns erstaunlicher Weise immer fester
zusammengeschweißt.
Wir wollten auch Kinder, aber auf Grund einer Operation
meiner Frau blieb uns dieser Wunsch verwehrt. Mit Kinder hätte sich mein
Lebensweg vielleicht auch anders entwickelt.
Beruflich änderte
sich bei mir bis zur politischen Wende nicht viel, außer dass ich mehrfach auf
anderen Baumaschinen eingesetzt wurde und auch als Verstärkung der Stammbesatzung in mehreren
Maschinenkomplexen aushalf. Dadurch hatte ich im Laufe der Zeit für eine
ganze Anzahl von Maschinen eine Bedienungsberechtigung erworben. Hinzu kam dann
noch eine Ausbildung zum Lokführer, erst für Kleinlokomotiven und dann
über die Wendezeit für die
größeren Lokomotiven der damaligen Baureihen 110 (V 100) und 118 (V 180).
Mit der politischen Wende änderte sich
erst mal nichts. Es gab nun alles mögliche
zu kaufen, was wir vorher nur aus dem "Westfernsehen" kannten. Supermärkte
schossen aus dem Boden und jeder hatte mit sich zu kämpfen, um mit den neuen
Verhältnissen klarzukommen. Bei mir gab es mit der Umstellung eigentlich keine
großen Probleme. Zuversichtlich in die Zukunft blickend sog ich alles Neue in
mich rein. In Magazinen und Broschüren entdeckte ich allerhand, wovon ich
allenfalls mal etwas gehört oder im Fernsehen gesehen hatte.
Beruflich gab es keine großen Änderungen, nur dass die Arbeit bei der da noch
existierenden Deutschen Reichsbahn immer weniger wurde. Da kam mir zugute, dass
ich auf den modernsten Maschinen der DR
eingesetzt war. So wurde ich dann auch in die neu gebildete GmbH, in der alle
Oberbaubetriebe der Deutschen Reichsbahn integriert wurden, mit übernommen. Zum
Leidwesen vieler Kollegen begann hier ein großer Schrumpfungsprozess von dem ich
glücklicherweise verschont blieb. So blieb ich weiter, nun bei der Deutschen
Bahn, im Bereich Gleisbau tätig.
Mit der neu gewonnenen Reisefreiheit führte der jährliche Urlaub nun auch
in Gebiete, die uns zuvor versperrt waren. Nach ein paar mal Urlaub im
westlichen Teil Deutschlands
und in Österreich ging es dann weiter weg. Ab 1993 waren die Kanaren das
Ziel,
wo wir dann mehrmals hintereinander alle größeren Inseln kennen lernten. Ostern 1994
hatten wir eine Städtereise nach Paris gemacht. Hie habe ich mir im Disneyland
Paris meinen Pluto aus Plüsch gekauft. Dieser Pluto sollte mir später noch sehr
viel als Seelentröster beistehen.
Durch meinen Beruf bei der Deutschen Bahn kam ich in Deutschland sehr viel rum
und es gab bald nur noch wenige Gegenden, wo ich noch nicht war. Das war
natürlich alles sehr interessant und ich habe viel gesehen. Trotzdem folgten
auch weitere Urlaubsreisen innerhalb Deutschlands.
So vergingen die Jahre mit einem erfüllten Berufsleben und auch im
Freizeitbereich kam keine Langeweile auf. Sie war ausgefüllt mit der
Modelleisenbahn und gelegentlichen Ausleben der Träume als Trans*.
Es kam das Jahr
1998, eigentlich ein Jahr wie alle anderen auch. In Quellendorf, einer Gemeinde in Sachsen-Anhalt bekannte sich der dortige
Bürgermeister zu seiner Transsexualität und erklärte, dass er bzw. nun sie
fortan nur noch als Frau Michaela Lindner leben werde. Das war natürlich ein
Medienereignis, was auch in allen Zeitungen stand. Ich hatte die ganze
Berichterstattung darüber sehr intensiv verfolgt. Ein
Mensch gesteht offiziell den Wunsch, den Weg der Transformation vom Mann zur
Frau gehen zu wollen. Aber für was für einen Preis? Frau Lindner wurde als Bürgermeisterin
abgewählt und ausgegrenzt. Was könnte mir passieren?
Ich habe es nicht gewagt, ich hatte viel zu viel Angst. Angst vor den
Konsequenzen in der Gesellschaft und vor allem vor meiner Frau, sie zu verlieren.
Ich hatte mich nicht getraut und das Leben ging
weiter.
Mit der Weiterentwicklung der Computer für den Heimgebrauch erschloss
sich für mich bald die Welt des Internets.
Hier konnte man
relativ anonym einkaufen. Der Verkäufer kennt zwar den Namen und Adresse,
nicht aber für wen es ist und stellt keine Fragen.
Ich entdeckte sehr ansprechende
Frauenmasken aus Schaumlatex, die waren aus der Filmbranche. Solche Masken kann
man über längere Zeit fast problemlos tragen. Damit war ich dann schon einige Jahre
vor meinem Coming-out oft in weiblicher Bekleidung in Wald und Flur
unterwegs. So konnte ich mir sicher sein, da erkennt dich eh' keiner, denn ich
hatte noch immer eine höllische Angst, doch irgendwie mal erkannt zu werden. Einigen Leuten
bin ich so auch begegnet. Ob
sie irgendwas bemerkt hatten?
Die
ganzen Jahre war ich fest verwurzelt im Brandenburger Modellbahn-Freunde e.V.,
dem ich seit 1971 angehörte und dessen Vorsitz ich ab 1984 übernommen hatte. Ihm
widmete ich fast meine ganze Freizeit. Über die Jahre war der Verein mein Leben. Ich hatte ihn sicher durch die Wende gebracht und die weitere
Grundlage war solide. Die letzten Jahre, bevor ich den Vereinsvorsitz aufgab,
waren für mich wegen der beruflichen Inanspruchnahme eher eine Quälerei. Es
wurde für mich immer schlimmer, alles unter einen Hut zu kriegen. Ich stürzte in
eine
größere Krise. Meiner Frau erklärte ich, dass ich ein
Identitätsproblem hätte, wusste aber nicht so richtig, womit das zusammenhängen
könnte. Vermehrt gesundheitliche Probleme verschiedener Art häuften sich, ohne
dass eine genaue Ursache festzustellen und ich dann der Meinung war, dass ich
vielleicht doch ruhiger treten sollte. Nachdem ich mich mehr aus dem aktiven Vereinsleben zurückgezogen
hatte, bin ich meinem wahren ICH, meiner wirklichen Identität immer
näher gekommen. Nach meinem Coming-out sind viele
Krankheiten nicht mehr aufgetreten, also müssen sie psychosomatischer Natur
gewesen sein.
Gegen Ende 2006 traute ich mich langsam auch im
innerstädtischen Bereich in die Öffentlichkeit auf Straßen, erst in der
Dämmerung, dann auch am Tage, aber immer auf Distanz zu den Passanten. Hier
waren Premnitz, Rathenow und Genthin meine "Teststrecken". Da meine Lieblingsmaske
täuschend echt aussah, hat kaum einer von mir Notiz genommen. Begeistert und
überrascht zugleich von dem Erfolg
kam mir die Karnevalszeit zupass.
An Bekleidung und Accessoires hatte ich ja nun schon einiges beschafft.
Ich wollte mit meiner Frau zu einer
Karnevalsparty. Schon in den beiden Jahren davor sollte eigentlich diese
Gelegenheit genutzt werden, aber da traute ich mich jeweils noch nicht, mich zu outen. Nachdem ich mich zu Hause zurecht gemacht hatte,
stellte ich mich nun als Harumi meiner Frau vor.
(weiter im Teil 2)
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Harumi Michelle
weiter zu Teil 2
© H. M. Waßerroth